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Europa unter Zugzwang: Digitale Souveränität im öffentlichen Sektor

Flaggen der Europäischen Union in Paris, Frankreich. Quelle: Unsplash
Aktuelle geopolitische Spannungen lassen den Ruf nach einer verstärkten digitalen Unabhängigkeit in Europa lauter werden. Dies gilt auch und gerade für öffentliche Institutionen und Verwaltungen. Doch wie lässt sich digitale Souveränität in europäischen Behörden auf allen Ebenen in die Praxis umsetzen, und welche Rolle kommt dabei der Europäischen Union (EU) zu?
In unserem aktuellen Interview mit Jana Gaulke, Leiterin des Brüsseler Bitkom-Büros, und Esther Steverding, Referentin Public Sector des Bitkom, sind wir diesen und weiteren Fragen auf den Grund gegangen.
Aufgrund der aktuellen geopolitischen Verschiebungen: Mit welchen technologischen und wirtschaftspolitischen Veränderungen muss Europa in den kommenden Jahren rechnen?
Jana Gaulke: „In einer geopolitisch fragilen Lage und einer zunehmend wackelnden transatlantischen Partnerschaft wird die EU vermehrt die digitale Souveränität in den Mittelpunkt ihrer strategischen Ausrichtung stellen. Die Abhängigkeit von außereuropäischen Tech-Unternehmen wird von der EU als ein Risiko wahrgenommen. Diese Abhängigkeiten erstrecken sich über eine Vielzahl von kritischen Bereichen, darunter Cloud-Infrastrukturen, Halbleiterproduktion, Cybersicherheitsanwendungen und Komponenten für 5G-Netze. Die EU erkennt zunehmend, dass solche Abhängigkeiten als potenzielle geopolitische Druckmittel eingesetzt werden können. Ein prominentes Beispiel dafür war der Einsatz von Starlink durch SpaceX zur Unterstützung der Ukraine im Kontext des russischen Angriffskrieges, wodurch die geopolitischen Einflussmöglichkeiten privater Unternehmen deutlich wurden. Angesichts dieser Entwicklungen stellt die EU ihre politische und wirtschaftliche Agenda darauf aus, die eigene digitale Infrastruktur zu stärken und von externen außereuropäischen Akteuren unabhängiger zu werden.“
Wie bereitet sich die EU auf ebendiese Veränderungen vor?
Jana Gaulke: "Die EU fördert aktiv Initiativen und Investments, die zur Stärkung der europäischen Souveränität beitragen. Dazu zählen beispielsweise GAIA-X, um eine interoperable Cloud-Infrastruktur für Europa zu schaffen. Außerdem sollen mit entsprechenden Gesetzen wie bspw. dem europäischen Chips Act Investments in die Produktion von Schlüsseltechnologien innerhalb von Europa gefördert werden. Neben der Stärkung der eigenen digitalen Kapazitäten, ist ein wichtiger Aspekt die Diversifizierung der Lieferketten. Angesichts geopolitischer Spannungen und globaler Krisen wird die Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten zunehmend als Risiko gesehen. Die EU fördert die Schaffung alternativer Lieferketten für digitale Komponenten, um ihre Resilienz zu stärken und strategische Unabhängigkeit zu wahren. Zudem will die Kommission auf den „Buy European“-Ansatz setzen. Das heißt im Rahmen von öffentlichen Beschaffungen europäische Produkte und Lösungen außereuropäischen Produkten vorziehen. In einer globalisierten Tech Welt ist dieser Ansatz jedoch schwierig umzusetzen. Stattdessen sollten in konkreten Vergabeverfahren sachliche, wie z.B. sicherheitsrelevante, Kriterien angeführt werden. Bereits heute gibt es diverse Regelungsvorschriften, insbesondere im Sicherheits- und Verteidigungsbereich, die eine gezieltere Auswahl und den Ausschluss von Bewerbern und Bietern ermöglichen."
Welche Bedeutung hat das Thema „Digitale Souveränität“ für öffentliche Institutionen und Verwaltungen innerhalb Europas?
Esther Steverding: „Das Thema Digitale Souveränität gewinnt auch für den öffentlichen Sektor zunehmend an Bedeutung, kaum eine Debatte kommt mehr ohne dieses Konzept bzw. diese Forderung aus. Was kann das in der Verwaltung bedeuten? Hierfür ein kurzer Vergleich:
Wir haben Ende 2022, Anfang 2023 die Energiekrise in Deutschland erlebt. Wir waren extrem abhängig von billigem russischem Gas. Es wurde offensichtlich, dass wir hier nicht souverän waren, was unsere Energiesicherung angeht. Es wurde schnell reagiert und das große Chaos bzw. kalte Wohnungen im Winter wurden verhindert. Dieses Bild der Abhängigkeit lässt sich auch auf die digitale Souveränität übertragen. Wir müssen uns überlegen, was wir tun können, um im Worst-Case-Szenario digital handlungsfähig zu bleiben und nicht in eine „digitale Mangellage“ zu kommen. Und genau daran arbeiten öffentliche Verwaltungen und viele weitere Stakeholder aktuell und stellen sich vermehrt die Frage, was sie tun können, um digital souverän zu agieren. Dabei heißt Souveränität nicht nur, dass man Herr über seine eigenen Daten ist.“
Welche Maßnahmen können europäische Behörden und Kommunen ergreifen, um ihre Digitale Souveränität zu stärken?
Esther Steverding: „Digitale Souveränität umfasst mehrere Dimensionen, daher gibt es auch nicht die eine Maßnahme, die vorgenommen werden sollte, um digital souverän zu sein. Es sind mehrere Maßnahmen, deren Umsetzung dazu führt, digital souverän handeln zu können. Staatliche Einrichtungen setzen z.B. immer mehr auf die Verwendung von Open Source-Software, um Einblicke in den Quellcode zu erhalten. Eine andere Maßnahme ist das Diversifizieren von Lieferanten und Lieferketten, um sich nicht von einigen wenigen Lieferanten abhängig zu machen. Eine kontinuierliche Schulung von Mitarbeitenden zählt ebenso zu den notwendigen Aktivitäten. Die Förderung europäischer GovTech-Startups ist ein zusätzlicher Faktor. Groß in der Diskussion ist auch das Ziel, Daten im eigenen Land und in Europa zu speichern und nicht in Rechenzentren in Drittstaaten. Allein ein Bündel verschiedener Maßnahmen wird dazu führen, dass unser Staat und seine Organisationen handlungsfähig bleiben.“
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